Abschiebung aus Polizei-Sicht: „Manche verletzen sich selbst, um bleiben zu dürfen“
Dienstag, 20.10.2015
Sie verlieren ihren Pass, schlucken Rasierklingen oder sind einfach nicht da, wenn die Polizei kommt. Andere Flüchtlinge schlagen um sich und bespucken Beamte. „Rückführung ist ein extrem schwieriger Job“, sind sich Polizisten einig – darum will ihn auch niemand gerne machen.
In der Flüchtlingskrise hat das Thema Abschiebung neue Brisanz bekommen. Manche Politiker glauben, das Flüchtlingsproblem so lösen zu können. Aber wie laufen Abschiebungen eigentlich in der Realität ab, wenn es nicht nur um politische Maßnahmen, sondern um echte Menschen geht?
Das bedeutet vor allem viel Stress – und zwar für alle Beteiligten: Auf der einen Seite stehen Polizeibeamte, von denen keiner „der Böse“ sein will, auf der anderen Seite Flüchtlinge, die mit allen Mitteln versuchen, das Unvermeidliche zu vermeiden.
„Rückführer“ sind Überbringer schlechter Nachrichten
„In diesem Moment werden alle Hoffnungen zerschlagen“, sagte Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zu FOCUS Online.
Welche Dimension dieser Schock haben könne, zeige ein Beispiel aus den Neunzigern. Damals hätten sich zwei Flüchtlinge bei der Abschiebung so sehr aufgeregt, dass sie durch den Stress Atemnot bekamen und kollabierten, erinnert er sich.
„Auch Beamte haben mit Abschiebungen aus humanitärer Sicht Probleme“, so Radek weiter. Das schilderte auch der Berliner Polizist Stipo Vrdoljak in der Wochenzeitung „Zeit“: „Natürlich bin ich nicht stolz drauf, eine Familie aus Bosnien aus dem Bett zu holen und zum Flughafen zu bringen, das sind ja keine Verbrecher.“ Bei Flüchtlingen, die straffällig geworden seien, mache es ihm dagegen nichts aus.
Schnell und schmerzlos: Radek fordert rasche Abschiebung
Gerade wegen der persönlichen Härten spricht Radek sich für schnellere Abschiebungen aus. Emotional werde es vor allem dann, wenn die Integration der Betroffenen in Deutschland schon weit vorangeschritten sei und sie aus ihrem sozialen Netz herausgerissen würden, erklärt er.
In solchen Fällen droht nicht nur heftige Gegenwehr, sondern es besteht auch die Gefahr, dass Flüchtlinge sich selbst verletzen. Denn wer krank oder schwer verletzt ist, kann nicht abgeschoben werden.
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Bei Familien komme es seltener zu Problemen, sagte der Berliner Polizist Ahmet Karakas der „Zeit“. Die Eltern wollten vor ihren Kindern stark sein und ihnen Halt geben, darum blieben sie meist ruhig. Aber: „Bei Einzelpersonen muss man vorsichtig sein. Da haben wir immer einen Arzt dabei.“
Lieber tot als abgeschoben – Flüchtlinge greifen zu drastischen Mitteln
Karakas arbeitet bei der „AGIM“, einer Sondereinheit der Berliner Polizei, die unter anderem dafür zuständig ist, Flüchtlinge zur Abschiebung abzuholen.
In der „Zeit“ berichtet er von den schlimmsten Fällen der Selbstverletzung: Eine Frau, die Shampoo trank, ein Mann, der sich aus dem Fenster stürzte und den er nur noch an den Füßen zu packen bekam – ein anderer rammte sich plötzlich eine abgebrochene Flasche in den Hals.
Angriffe auf Beamte passieren ebenfalls, damit muss die Polizei immer rechnen. Darum tragen die Einsatzkräfte der „AGIM“ kugelsichere Westen. „Für mich ist das Entscheidende, dass meine Kollegen und ich da heil rauskommen“, sagt Karakas.
„Da wird gespuckt, getreten, es gibt auch mal blaue Augen oder dicke Lippen“
Auch am Flughafen müssen die sogenannten„Rückführer“ von der Polizei oft einiges einstecken. „Es passiert immer wieder, dass Beamte Tritte und Schläge abbekommen oder angespuckt werden“, berichtet Klaus Borghorst, GdP-Vorstand für den Bezirk Bundespolizei, FOCUS Online.
Um die Verletzungsgefahr zu minimieren, werden alle Flüchtlinge vor der Abschiebung komplett ausgezogen und durchsucht. Borghorst hat aber schon erlebt, dass Menschen Stunden vorher in Klebeband eingewickelte Rasierklingen geschluckt hätten, um diese nach der Kontrolle herauszuwürgen und sich die Pulsadern aufzuschneiden.
„Die Bundespolizei kann alles, aber nicht alles auf einmal“
„So etwas ist aber nicht die Regel“, betont er, meist bleibe es ruhig: „Von 100 Passagieren, die wir zum Flugzeug bringen, machen vielleicht drei oder vier Probleme.“ Dennoch sei Rückführung ein extrem schwieriger Job.
Abschiebeeinsätze sind körperlich anstrengend, seelisch belastend und schlecht planbar. Das macht sie für die Beamten unattraktiv. Hinzu kommt, dass es an Personal fehlt – gerade angesichts der steigenden Zahl der Abschiebungen in der Flüchtlingskrise
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„Die Bundespolizei kann alles, aber nicht alles auf einmal“, sagt der GdP-Vizechef Radek. Für 2016 seien im Haushalt der Bundespolizei 150 zusätzliche Stellen geplant – eigentlich sei auch das noch zu wenig, findet er.
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